Das grödner Tal

Allgemeine Einleitung

Gröden liegt im Herzen der Dolomiten, die weltweit wegen ihrer senkrechten Felswände und den atemberaubenden Ausblicken bekannt sind. Am 26. Juni 2009 wurde diese Gebirgskette wegen deren Einzigartigkeit und landschaftlichen Schönheit von der UNESCO in die Liste der Weltnaturerbe-Denkmäler aufgenommen. Das Tal gehört zur Autonomen Provinz Bozen – Südtirol und befindet sich im äußersten Norden der Republik Italien. Südtirol grenzt im Süden an die italienische Autonome Provinz Trient, im Südosten an die italienische Region Venetien, im Norden an Österreich, im Nordwesten an die Schweiz und im Westen an die italienische Region Lombardei. Während der Geschichte stand dieses Gebiet unter verschiedenen Herrschaften, bis es 1920 von Italien annektiert wurde. Davor gehörte es zu Tirol, im damaligen Österreich-Ungarn, weshalb auch noch heutzutage die Mehrheit der Südtiroler Deutsch spricht. Nicht nur die sprachliche Vielfalt, sondern auch die besondere Südtiroler Kultur haben im Jahre 1972 dazu beigetragen, dass das Autonomiestatut seitens der Republik Italien anerkannt wurde.

Südtirol wird als beneidenswertes Autonomiemodell angesehen, das nicht wenige Minderheiten anstreben. Es basiert auf das friedliche Zusammenleben drei verschiedener Sprachgruppen: der italienischen, der deutschen und der ladinischen. Ladinisch wird in allen fünf Tälern rund um das Sellamassiv gesprochen: in Gröden, im Gadertal, im Fassatal, in Ampezzo und in Buchenstein. Ladinisch ist eine romanische Sprache, die aus der Vermischung des Rätischen mit dem Latein entstand, das sich um 15 v. Chr. durch die Römer in den Alpen verbreitete. Bis vor einigen Jahrhunderten wurde diese rätoromanische Sprache in einem großen Gebiet der Alpen gesprochen. Im Laufe der Jahre verschwand sie jedoch fast vollständig wegen des Einflusses der deutschen Sprache von Norden und der italienschen Sprache von Süden. Außer den Dolomitengebieten gibt es noch zwei weitere rätoromanische Sprachinseln: Eine befindet sich in Graubünden in der Schweiz und die andere in der italienischen Autonomen Region Friaul-Julisch-Venetien. Der Großteil der Grödner (etwa 85-90 %) spricht Ladinisch wie auch Deutsch und Italienisch. Das wird unter anderem durch ein paritätisches Schulsystem gefördert: Die Schüler sind vom ersten Tag an mit diesen Sprachen in Kontakt, die auch als Unterrichtssprache für die verschiedenen Fächer verwendet werden. Zudem gibt es etliche kulturelle Einrichtungen, die die Erforschung, den Gebrauch und die Verbreitung des Ladinischen unterstützen, indem sie sich aktiv in die Redaktion von Zeitungen sowie Fernseh- und Radioprogrammen einbringen, Literatur- und Wörterbücher verfassen und sammeln sowie Konzerte, Ausstellungen und verschiedenste Veranstaltungen organisieren. Das Tal ist somit offiziell dreisprachig, was man auch an den Ortsnamen sehen kann, die immer in allen drei Sprachen angegeben sind.

Die ersten Siedlungen

Die ersten menschlichen Siedlungen in Gröden gehen auf die Zeit der Urgeschichte zurück. Fundstücke wie Pfeilspitzen, Nadeln und weitere Werkzeuge, die am Fuße des Sellamassivs gefunden wurden, bezeugen die Anwesenheit von Menschen um 6000 v. Chr. Diese Gegenstände gehörten wahrscheinlich Wanderjägern, die sich auf Essenssuche in den Sommermonaten im Tal aufhielten. Weitere wichtige Funde kommen vom Col de Flam oberhalb von St. Ulrich und bestehen aus Eisenäxten, Bronzefibeln, Schmuck, gallischen Langschwertern und verschiedenen Geräten, die auf das Jahr 400 v. Chr. datierbar sind.

Das erste sesshafte Volk in Gröden sind die Räter. 15 v. Chr. erobert der römische Feldherr Drusus die alpinen Gebiete und drängt die Räter in die nur schwer zugänglichen Täler zurück. Die genaue Herkunft dieses Volkes ist noch immer unklar: Vielleicht handelt es sich dabei um kleine Gruppen von Ligurern, Illyro-Venetern, Etruskern, Galliern und nordischen Völkern, die von den Römern so benannt wurden.

Namensherkunft

Der Name „Gröden“ kommt aus dem Lateinischen „forestum ad Gredine“, was „Waldgebiet in Gröden“ heißt. Diese Bezeichnung stammt aus einer Urkunde aus dem Jahr 999 n. Chr., in der bestätigt wird, dass der bajuwarische Gaugraf Otto von Andechs dem Bischof Gottschalk von Freising dieses Gebiet übergibt. Interessant ist der Grund dieser Spende: Da man zu jener Zeit dachte, dass im Jahre 1000 n. Chr. die Welt untergehen würde, stifteten jene, die über Besitztümer verfügten, einen Teil davon der Kirche in der Hoffnung auf eine Belohnung im Jenseits.

Geographie

Gröden ist ein Seitental des Eisacktales und dehnt sich von Osten nach Westen auf 25 km aus. Die Höhenmeter im Tal reichen von 2244 m am Sellajoch bis zu 471 m in Waidbruck. Bei Pontives liegt die deutsch-ladinische Sprachgrenze und der eigentliche Anfang Grödens. Durch das Tal fließt der Grödner Bach (ital. Rio Gardena, lad. Derjon), der am Sellajoch entspringt und in Waidbruck in den Eisack mündet. Gröden umfasst drei Gemeinden: St. Ulrich (ital. Ortisei, lad. Urtijëi), St. Christina (ital. S. Cristina, lad. S. Crestina) und Wolkenstein (ital. Selva Gardena, lad. Sëlva). Die Fraktionen Pufels (ital. Bulla, lad. Bula), Runggaditsch (ital. Roncadizza, lad. Runcadic) und Überwasser (ital. Oltretorrente, lad. Sureghes) gehören geographisch und sprachlich zu Gröden, sind aber seit alters her der Gemeinde Kastelruth (ital. Castelrotto, lad. Ciastel) einverleibt.

St. Ulrich ist der Hauptort Grödens und zählt etwa 6000 Einwohner. Das Dorf sieht auf eine lange und intensive Geschichte im Handel mit Handwerksprodukten aus Holz zurück. Es weist vier wichtige Kirchen auf: die mittelalterliche St. Jakobskirche, die St. Antoniuskirche auf dem gleichnamigen Platz, die Friedhofskirche St. Anna und die Pfarrkirche, die dem Heiligen Ulrich geweiht ist. Wegen des stetigen Bevölkerungswachstums wurde die Hauptkirche des Hl. Ulrich, die 1342 erbaut wurde, 1793 runderneuert. Das war vor allem Dank der Großzügigkeit der vermögenden Dorfbewohner möglich. Die Kirche wurde um Einrichtungsgegenstände und Ornamente, die von den besten Künstlern und Handwerkern des Tales gefertigt worden waren, bereichert.

St. Christina liegt in der geographischen Mitte des Tales und ist mit ihren etwa 1900 Einwohnern die am wenigsten bevölkerte Gemeinde. Sie liegt genau gegenüber dem Symbolberg Grödens, dem majestätischen Langkofel (3181 m), der jedes Jahr von zahlreichen Bergsteigern erklommen wird. Durch den Bau einer Umfahrungsstraße im Jahre 2009 gelang es, den Verkehr vom Dorfzentrum wegzuleiten. Seitdem können die Einwohner und die zahlreichen Touristen ein viel ruhigeres und angenehmeres Leben im Ort genießen.

Wolkenstein liegt auf 1563 m und zählt etwa 2600 Einwohner. Von Wolkenstein aus kann man das Sellamassiv, den Langkofel und den Puez bestaunen. Wolkenstein grenzt im Osten an die Pässe, die die Umrundung des Sellamassivs ermöglichen, und über die man in zwei weitere ladinische Täler gelangt: ins Gadertal über das Grödnerjoch und ins Fassatal über das Sellajoch. Wolkenstein ist sowohl im Winter wie im Sommer einer der beliebtesten Ferienorte.

Klima

Durch den Einfluss des gemäßigten Klimas des Eisacktales herrscht in Gröden, trotz seiner Höhenlage, ein relativ mildes Klima vor. Der sonnenreichste Monat ist der Juli, in dem die Höchsttemperaturen bei 25°C liegen. Doch ist das Tal gut vor drückender Schwüle geschützt, die in einigen tiefer gelegenen Tälern vorkommt. Die wärmsten Sommermonate sind Juli und August. Der Herbst ist normalerweise milder als der Frühling. Die Monate November und Dezember sind mäßig kalt mit wenig Niederschlag. Im Winter gibt es reichlich Schneefall sowie kalte und trockene Tage, die aber vorwiegend sonnig ausfallen. Der Januar ist der kälteste Monat im Jahr, auch wenn die Schneefälle im Februar zweifellos stärker sind. Da das Tal nur in Richtung Westen offen ist, ist es gut vor den kalten Nordwinden geschützt. Die Seceda, die Geislerspitzen und der Puez sind natürliche Barrieren des Tales, in dem neblige oder windige Tage somit eine wahre Seltenheit sind. Nichtsdestotrotz sollte man die klimatischen Nachteile in alpinen Regionen nicht unterschätzen, denn der Frühling fängt mit erheblicher Verspätung an; wenn, zum Beispiel, in St. Ulrich die ersten Bäume blühen, kann man in Bozen schon die Kirschen ernten. Die Häuser stehen in einem Gebiet zwischen 1150 und 1700 m. Besonders benachteiligt sind davon jene, die sich auf der Schattenseite des Tales befinden. Die Lage der Gebäude kann also eine größere Rolle als deren Höhenlage spielen. Die klimatischen Bedingungen des Tales sind nicht für den Getreideanbau, wie zum Beispiel Weizen, Roggen, Gerste oder Hafer, geeignet. Deshalb bestehen die landwirtschaftlich genutzten Flächen fast ausschließlich aus Wiesen und Weiden. Gröden eignet sich mehr zur Viehzucht dank des ausgezeichneten Heus, das, im Hochgebirge gemäht, auch für die sogenannten „Heubäder“ verwendet wird. Sehr verbreitet ist diese Aktivität auf der Seiser Alm, dem größten Hochplateau Europas.

Auch heute noch bedeckt Wald große Flächen der Talhänge, vor allem in der Gemeinde St. Ulrich. Dabei handelt es sich, wie übrigens in ganz Südtirol, um Nadelwald. Laubbäume sind eher selten und die wenigen, die es gibt, wachsen in der Nähe des Grödner Baches. Die Baumgrenze liegt bei etwa 2150 m, während auf etwa 2300 m nur mehr kleine Bäume zu finden sind. Die Wälder bestehen hauptsächlich aus Fichten und Lärchen, aber man findet auch Tannen, Föhren und Zirbelkiefern vor.

Turismo e artigianato

Der tragende Wirtschaftsektor in Gröden ist der Tourismus, aber jener des traditionellen Holzhandwerks reiht sich gleich dahinter ein. Es sind diese beiden Wirtschaftszweige, die Gröden zu seinem weltweit bekannten Namen verholfen haben. Die Schönheit der Berge und das ausgezeichnete Angebot an touristischen Infrastrukturen ermöglichen sowohl im Sommer wie auch im Winter, in diesem Tal sportlich aktive und naturverbundene Ferien zu verbringen. Gröden bietet in den Wintermonaten zahlreiche Aufstiegsanlagen für den alpinen Skilauf und kilometerlange Loipen für den Langlauf. Im Sommer lädt die atemberaubende Berglandschaft zum Spazieren, Wandern, Klettern und Mountainbike Fahren ein.

Geschichtlich gesehen bilden aber die Bildhauerei und die Holzschnitzerei die Basis für die wirtschaftliche Blüte Grödens. Über einige Jahrhunderte lang hat dieser Wirtschaftszweig vielen Familien Grödens Arbeit gegeben und auch heutzutage gibt es noch etliche Firmen, selbstständige Bildhauer und Kunst- wie auch Berufsschulen, die diese Aktivität ausüben und auf die die Grödner berechtigterweise stolz sind. Die Grödner Holzkunstwerke sind auf der ganzen Welt bekannt. Es ist tatsächlich undenkbar, nicht von Gröden zu sprechen, wenn es um Holzskulpturen geht. Die Schönheit und die Einzigartigkeit der Grödner Produkte bestätigen, dass eine gut gepflegte Tradition ein Synonym für Qualität werden kann. Im Tal wird alles Mögliche aus Holz hergestellt: sakrale Figuren wie zum Beispiel Madonnas, Kruzifixe, Weihnachtskrippen, Heilige, Engel und Weihwassergefäße sowie profane Figuren wie zum Beispiel Tiere, Skifahrer, Masken, Clowns, historische oder berühmte Persönlichkeiten. Zudem werden auch Designobjekte wie zum Beispiel Stühle, Tische, Spiegel, Lampen und Nussknacker sowie viele weitere Artikel erzeugt.

Die ladinische Sprache und das Museum

Wie schon erwähnt, ist das Ladinisch die älteste Sprache im Alpenraum: Sie entstand im 1. Jahrhundert n. Chr. aus der Verschmelzung der keltischen Kultur der Räter und jener der Römer. Die verschiedenen Völkerwanderungen waren für diese Sprache eine starke Bedrohung. Glücklicherweise hat sie aber in einigen Seitentälern überlebt: in Gröden, im Gadertal, im Fassatal, in Buchenstein, rund um Cortina d’Ampezzo sowie auch in der italienischen Autonomen Region Friaul-Julisch-Venetien und in Graubünden in der Schweiz. Die ladinische Sprache ist eine der prägendsten Besonderheiten Grödens und hat das Interesse vieler Sprachwissenschaftler geweckt. Auch wenn Ähnlichkeiten mit dem Italienischen bestehen, sind ihre Rechtschreibung, ihr Wortschatz und ihre Aussprache doch sehr anders. Außerdem ist sie tausend Jahre vor der italienischen Sprache entstanden und ist kein Dialekt, wie manche immer noch fälschlicherweise glauben. Leider hat der moderne technologische Fortschritt die Grödner dazu gezwungen, Wörter anderer Sprachen zu verwenden, um neue Begriffe und Gegenstände zu beschreiben, die in der ursprünglichen Sprache nicht zu finden sind. Der Großteil der assimilierten Wörter kommt aus dem Deutschen, dem Italienischen oder dem Englischen, was eine unvermeidliche Verarmung der Sprache selbst mit sich bringt. Eine interessante Tatsache ist, dass die Grödner dank des Ladinischen andere Sprachen sehr viel leichter und schneller erlernen können. Einer der Ersten dies zu bezeugen, war der berühmte Minnesänger Oswald von Wolkenstein, dem seine Ladinischkenntnisse auf seinen vielen Reisen immer von großer Hilfe beim Erlernen anderer romanischer Sprachen waren.

Der erste, der sich hingegen auf philologischer Ebene mit der ladinischen Sprache abgegeben hat, war der aus dem Fassatal stammende Pfarrer der Gemeinde St. Ulrich, J. A. Vian. Er führte eine gründliche Untersuchung der ladinischen Grammatik und des ladinischen Wortschatzes durch und sammelte in einem Buch die idiomatischen Formen dieser Sprache. Sein Text war der Ausgangspunkt für die Arbeit vieler anderer Gelehrter. Heute ist die ladinische Sprache offiziell als solche anerkannt und Tausende Lemmata sind mit ihrer Übersetzung und Beschreibung in Wörterbuchern festgehalten. Einige Sprachwissenschaftler schätzen, dass 80 % der ladinischen Wörter vom Vulgärlatein stammen, 15 % vom Germanischen und der Rest von der antiken Sprache der Räter. Im Museum de Gherdëina in St. Ulrich, das 1960 gegründet wurde, kann man viele Zeugnisse der ladinischen Kultur und Tradition besichtigen. Es befindet sich in der Cësa di Ladins („Haus der Ladiner“) und beherbergt interessante Sammlungen, die die Entwicklung der Holzschnitzerei vom 16. Jahrhundert bis heute dokumentieren, sowie geologische und archäologische Entdeckungen des Dolomitengebiets. Eine Dauerausstellung veranschaulicht das abenteuerliche Leben des berühmten Grödner Filmemachers und Bergsteigers Luis Trenker (1892-1990). Das Bestehen und die Arbeit des Museums, das zahlreiche kulturelle Veranstaltungen sowie geschichtliche und wissenschaftliche Forschungsaktivitäten fördert, wären nicht ohne die Union di Ladins de Gherdëina möglich. Dieser gemeinnützige Verein wurde 1946 gegründet und ist Teil der Union Generela di Ladins dla Dolomites, dem wichtigsten kulturellen Verein Ladiniens. Die Union di Ladins de Gherdëina fördert die ladinische Sprache und Kultur durch Fernseh- und Radiosendungen wie auch durch Veröffentlichungen, Ausstellungen, Konzerte und Theateraufführungen

Das Kunsthandwerk im Grödner Tal

Geschichte des Grödner Handwerks

Um die Natur und den Charakter des Grödner Handwerks verstehen zu können, ist es unabdingbar, dieses Tal zu kennen, das mit seinen weiten Wäldern und atemberaubenden Felsformationen aus Dolomitgestein von faszinierender Schönheit ist. Dieses Tal hat eine blühende Heimindustrie ins Leben gerufen, die auf die Herstellung von Holzspielzeug sowie sakraler und profaner Kunst beruhte, und die die Grenzen Italiens und Europas überschritt und weltberühmt wurde.

Die Holzschnitzerei entstand dank der Kreativität der Einheimischen und der dringenden Notwendigkeit, eine Beschäftigung für die Wintermonate zu haben, um so gut wie möglich die geringe Fruchtbarkeit der Felder und die unzureichende Produktivität der Höfe kompensieren zu können. Die Herstellung von Holzfiguren begann im 17. Jahrhundert und entwickelte sich mit der Zeit von einem einfachen Heimhandwerk zur industriellen Serienherstellung. Doch kam während dieses Entwicklungsprozesses die Suche nach Originalität und der höchsten Qualität des handgefertigten Produktes nie zu kurz, da diese Tätigkeit über viele Generationen von Kunsthandwerkern weitergegeben wurde.

Die ersten Formen handwerklicher Heimarbeit als zusätzliche Erwerbsquelle zur Landwirtschaft

Bis ins 19. Jahrhundert, in manchen Fällen sogar bis ins 20. Jahrhundert, war das Überleben der Grödner Bevölkerung von der Selbstversorgung der Bergbauernhöfe abhängig.

Der Boden in Gröden ist nicht besonders fruchtbar, da das Tal 1150 Höhenmeter in St. Ulrich bis 1700/1800 Höhenmeter in Wolkenstein misst. Zudem ist die Zeitspanne, in der der Boden bewirtschaftet werden kann, relativ kurz, und im Winter ist es sehr kalt. In schlechten Jahren musste man sogar die Kartoffeln und die Rüben mit der Spitzhacke unter dem Schnee hervorholen. Außerdem sind die Bedingungen in diesem Tal weder für den Anbau von Getreide noch für jenen von Weinreben oder anderen Obstarten geeignet. Deshalb war bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts die Viehwirtschaft der Hauptwirtschaftszweig für den Großteil der Einwohner, was typisch für Bergtäler ist.

Anfänglich stellte die handwerkliche Heimarbeit nur einen sehr kleinen Teil des Einkommens der Grödner Familien dar und die Arbeit auf den Feldern war nicht sonderlich ertragreich, so dass sie fast ausschließlich für den Eigenbedarf ausgeübt wurde. Normalerweise hielt man Milchkühe, Ochsen und manchmal auch Schweine. Obwohl die Grödner durch das Handwerk ein besseres Leben führen konnten als in den benachbarten Tälern, waren sie ziemlich arm.

Die Produkte, die die Bauern herstellten, wurden verkauft oder eingetauscht, um Nahrungsmittel oder Werkzeug zu kaufen. Die Knappheit an Bargeld, eine typische Charakteristik von Bergdörfern, war ein weiterer Grund für die Notwendigkeit der handwerklichen Fertigung von Erzeugnissen, die auf dem Markt verkauft werden konnten. Eines dieser Produkte war der Loden, eine besondere Filzart, die zur Herstellung von den traditionellen Kleidern der bayerisch-tiroler Kultur diente. Im 16. Jahrhundert war der Loden aus Gröden der hochwertigste und am meisten verbreitete in Tirol.

Erst im 17. Jahrhundert fingen die Frauen und Mädchen des Tales mit dem Klöppeln an und die Männer mit der Holzschnitzerei.

Die Klöppelkunst

Das Klöppeln war für die Wirtschaft im Tal bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts sehr wichtig. Die gesamte weibliche Bevölkerung, von den siebenjährigen Mädchen bis hin zu den achtzigjährigen Frauen, ging dieser Arbeit nach. Ihre große Fertigkeit im Klöppeln erklärt, wieso die traditionellen Grödner Trachten so reich verziert und bis ins letzte Detail ausgearbeitet sind.

Zwei Jahrhunderte lang hat die Anfertigung von Spitzen den Familien einen erheblichen Zusatzverdienst eingebracht. Aber schon um 1830 übten nur mehr ältere Frauen diese Kunst aus. Die Ursachen, die zum Rückgang dieser Aktivität führten, waren die wachsende Konkurrenz von günstigeren Spitzen aus anderen Gebieten, die Trennung von Tirol 1810 und die sich daraus ergebende Schwierigkeit, neue Absatzmärkte zu finden, und vor allem das übermäßige Wachstum des Exports von handgefertigten Holzschnitzereien.

Die Holzschnitzerei

Es ist sehr schwierig festzulegen, zu welchem Zeitpunkt die Holzschnitzerei in Gröden aufgenommen wurde. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Entwicklung, deren Ursprung auf den Beginn des 17. Jahrhunderts zurückgeht. Die erste Dokumentation geht auf das Jahr 1625 zurück und bezieht sich auf den Bildhauer Christian Trebinger, der sich, zusammen mit seinen Brüdern Bartholomäus, Dominikus und Anton, auf die Herstellung von geschnitzten Ziergegenständen, Bilderrahmen sowie Uhrenständer und Konsolenstützen spezialisiert hat. Mit ihnen hatte die bekannte Künstlerdynastie der Trebinger in St. Ulrich ihren Ursprung, während in St. Christina Melchior Vinazer der Stammvater einer weiteren Schnitzerdynastie war.

Melchior Vinazer wurde am 11. September 1622 geboren. Er erlernte bei Meister Rafael Barath in der Nähe von Brixen die Bildhauerei und erhielt 1650 das Lehrzeugnis. Sechs von Melchiors Kindern wurden Bildhauer, einige davon perfektionierten ihre Technik in Städten wie Rom, Venedig und Wien.

Zu dieser Zeit war die Holzschnitzerei in Gröden noch nicht weit verbreitet, und so ist die Entstehung und Entwicklung dieses traditionellen Grödner Handwerks der Verdienst dieser beiden Familien. Ihre Studien und ihre Perfektionierung bei Bildhauermeistern und an Kunstakademien waren maßgebend, um die kulturelle Identität des Grödner Handwerks zu definieren.

Im Laufe der Jahre stieg die Anzahl an Bildhauern und in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gab es schon 50 davon im Tal. Sie fertigten regelrechte Kunstwerke an, die vor allem für Kirchen bestimmt waren.

Als den Einwohnern des Tales bewusst wurde, dass die Holzschnitzerei zu einer wichtigen Einnahmequelle werden könnte, entschlossen sich viele Bauernfamilien dazu, serienmäßig Holzfiguren anzufertigen, sowohl sakraler wie auch profaner Natur. Da sie nicht im Besitz eines Meistertitels waren, spezialisierten sie sich in der Herstellung von Spielzeug oder kleinen Krippenfiguren.

Mit der Zeit stockte der Verkauf von Kunstwerken auf Bestellung, während der Export von Holzfiguren und Holzspielzeug auch über die Grenzen Tirols hinauswuchs. 1680 gingen die Exporte nach Venedig, Genua, Lissabon, Wien, Graz, Stuttgart, Düsseldorf, Köln, Frankfurt und in andere große europäische Städte.

Im Jahr 1788 folgte eine kurze Krise, die von der österreichischen Regierung ausgelöst wurde: Ein Dekret aus Innsbruck besagte nämlich, dass die Zahl der Bildhauer von 300 auf 150 gesenkt werden müsse, um den Raschötzer Wald zu schützen, der in den vorangegangenen Jahren wahllos abgeholzt worden war.

Die Grödner waren überrascht und empört. Die Gemeinde St. Ulrich reagierte mit dem Vorschlag, dass die Bildhauer das Holz, das sie für ihre Arbeit brauchten, selbst bezahlen sollten, und dass dafür das Dekret zurückgezogen werden sollte. So geschah es dann auch, da diese Idee sehr gut ankam.

Am Ende des 18. Jahrhunderts war die Herstellung von Holzspielzeug, in Ladinisch chiena genannt, die wichtigste wirtschaftliche Tätigkeit des Gebietes. Leider gibt es nur wenige Unterlagen aus dieser Zeit, um nachvollziehen zu können, wie man überhaupt auf die Idee kam, Spielzeug herzustellen. Eine mögliche Antwort darauf könnte sein, dass die Grödner wegen der ständigen Migrationen die Möglichkeit hatten, das Spielzeug kennenzulernen, das in den benachbarten Regionen angefertigt wurde.

Die ersten Kaufleute: die Hausierer und ihre Niederlassung im Ausland

In dieser Zeit entwickelte sich ein Berufsbild, das für den Verkauf der Grödner Produkte sehr wichtig war: die Hausierer. Diese Kaufleute hatten keinen fixen Sitz, sondern gingen von Markt zu Markt. Sie verließen Gröden im Frühling mit einem Rückenkorb voller Holzspielzeug und kamen erst im Herbst wieder zurück. Im Winter zogen sie sich in ihre Häuser zurück, um die Ware für den nächsten Frühling herzustellen. Bald fingen sie an, längere Reisen zu tätigen, sodass die Menge an Ware, die eine einzige Person tragen konnte, nicht mehr reichte. Jene, die es geschafft hatten, etwas Geld auf die Seite zu legen, ließen sich im Ausland nieder, von wo aus sie die Produkte, die sie im Tal kauften, besser absetzen konnten. Bevorzugte Orte waren die großen deutschen, österreichischen, italienischen, spanischen und portugiesischen Städte. Die engen wirtschaftlichen Verbindungen mit diesen Ländern und die Fähigkeit der Grödner, schnell neue Sprachen zu erlernen, trugen dazu bei, ihren Weg zu ebnen.

Einige dieser Kaufleute beschränkten sich nicht nur auf den Verkauf von Produkten, die in Gröden handgefertigt wurden, sondern arbeiteten auch als Vermittler, Antiquitätenhändler und Geldwechsler, wobei sie ihre Handelsfähigkeiten in vollem Maße nutzten. Da die ausgewanderten Grödner Hilfskräfte brauchten, schickten die Familien des Tales ihre 14- bis 16jährigen Kinder zu den Verwandten ins Ausland, um ihnen eine kaufmännische Ausbildung zu ermöglichen. Es wird geschätzt, dass im Jahr 1800 2/3 der Talbevölkerung, das heißt etwa 1200 Personen, bei den Hausierern, die sich im Ausland niedergelassen hatten, arbeiteten. Viele von ihnen erreichten einen gewissen wirtschaftlichen Wohlstand, wie zum Beispiel Melchior Ortner, der in Cuenca (Spanien) wohnte und rund 300 Männer während des ersten spanischen Kolonialkrieges finanzierte.

Doch Gröden konnte daraus wenig Nutzen ziehen – außer bei Todesfällen, bei denen die Erbschaft an die Verwandten ging, die im Tal geblieben waren.

In Frankreich hingegen, einem Land, das einer der ertragreichsten Absatzmärkte hätte werden können, ließen sich nur wenige Grödner Händler nieder, da viele von ihnen während der Französischen Revolution ihren Beruf aufgeben mussten.

Diese Migrationsbewegung auf der Suche nach Glück und Erfolg außerhalb Grödens endeten schließlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Hauptgründe dafür waren: die Veränderungen der Handelsbedingungen, vom Ausbau der Verbindungswege bis hin zu neuen Transportmöglichkeiten, und vor allem die Einführung des obligatorischen Wehrdienstes, der den Jugendlichen die Möglichkeit nahm, sich für eine längere Zeit vom Tal zu entfernen. Weitere Gründe waren der Bau der Straße im Jahr 1856, die das Tal mit der Brennerstraße verband, und der Bau der Grödner Bahn 1915.

Das Bemalen und das Vergolden der Holzfiguren

Zwischen dem 17. und dem 18. Jahrhundert fing man an, in großem Ausmaß die geschnitzten Gegenstände zu bemalen und zu vergolden. Viele Figuren wurden von den Bildhauern selbst bemalt, doch die großen Statuen und die Altäre wurden in Kastelruth, Villnöss, Bozen oder Brixen bemalt und fertiggestellt. Das empfindlichere Spielzeug wurde sogar nach Bayern geschickt. Erst Ende des 18. Jahrhunderts entschlossen einige Familien im Tal, sich selbst dem Bemalen und dem Vergolden der Holzfiguren zu widmen. Somit erreichte die Grödner Industrie jene hohe Perfektion und Originalität, die sie auch heute noch kennzeichnen.

Um die Produktion maximal zu beschleunigen und um den Gewinn zu steigern, wurde die Arbeit des Bemalens in verschiedene Phasen eingeteilt: zuerst wurden die großen Flächen bemalt, dann wurden hintereinander alle Details aufgemalt: die Augen, die Haare, die Lippen, die Knöpfe, die Schuhe usw. Die einfachsten Aufgaben wurden von den Kindern ausgeführt. Zwischen der einen und der anderen Phase wurden die Skulpturen auf die Ofenbank zum Trocknen gegeben. Schließlich, um ein Ausbleichen der Farben auf den Schnitzereien zu vermeiden, wurde eine Art Lack aufgetragen, der aus einer Mischung von purem Alkohol mit Tannen- und Lärchenharz gewonnen wurde. Dieser Vorgang war ziemlich gefährlich, da es notwendig war, den Alkohol zu erwärmen, und das Risiko, dass das ganze Haus dabei Feuer fing, war nicht zu unterschätzen.

Die ersten Vergolder in St. Ulrich waren Joachim Unterplatzer, Thaddeo Oberbacher und Josef Großrubatscher.

Der Verleger und seine Arbeit

Mitte des 19. Jahrhunderts kam das Produktionsmodell des Verlagssystems nach Gröden, das schon in den deutschen und österreichischen Städten ausgezeichnete Ergebnisse erbracht hatte. In diesem System gab die neue Gesellschaftsklasse der Verleger (Großhändler) den Kunsthandwerkern Arbeiten in Auftrag und verkaufte dann die Produkte vor allem ins Ausland. So ging der Großteil der Holzfiguren in kurzer Zeit in die Hände dieser Kaufleute über, die die Verkaufslogistik vereinfachten und gleichzeitig die Heimarbeiter mit den Rohstoffen versorgten, sodass diese keine Zeit mehr damit verlieren mussten. Folglich blieb die Produktion mit all ihren Risiken bei den Arbeitern, aber nun war es der Verleger, der die Aufgabe hatte, für die Produkte zu werben und Verkäufer zu finden. Die ersten Verleger waren der Mesner Johann Dominik Moroder und der Sattler Josef Purger, beide aus St. Urich. Bald kamen weitere Großhändler aus St. Ulrich, St. Christina und Wolkenstein dazu. Anfänglich wurde die Vertreter dieses neuen Berufsbildes als nicht so wichtig angesehen, für ihren Service der Warenspedition bekamen sie nur eine geringe Provision und sie waren vor allem als Auftragnehmer für Verwandte, die sich im Ausland befanden, tätig.

Schon bald bemerkten die Grödner Kaufleute, dass für eine Steigerung der Exporte bessere Verbindungen mit dem Tal von Nöten waren. Die Straßen ins Ausland waren steil und eng, und ein Pferd schaffte höchstens eine Ladung von 100 kg. Das waren also die Wege, auf denen bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Lebensmittel und die Handwerksprodukte transportiert wurden.

Die große Wende kam 1856, als unter der Leitung von Johann Baptist Purger die Straße, die Waidbruck mit St. Ulrich und später auch mit Plan verband, gebaut wurde. Die gesamte Grödner Bevölkerung war sich der Bedeutung dieser privaten Initiative bewusst und stimmte ihr bedingungslos zu. Die Schulden, die sich wegen des Baus angehäuft hatten, wurden innerhalb 26 Jahren dank der Einführung einer Maut beglichen, die sich auch für die Wartungsarbeiten der Straße als nützlich erwies. Der Bau einer Verbindung, die die Kommunikation zwischen einem Bergtal und den benachbarten Ortschaften und Ländern ermöglichte, war für jene Zeit etwas Außergewöhnliches. Doch dank des Verlegers Johann Baptist Purger wurde Gröden Jahrzehnte vor den anderen Bergtälern mit der Außenwelt verbunden.

Die heimindustriellen Arbeiter

Während die finanzielle Situation der Verleger oft sehr gut war, genossen die Heimarbeiter nicht einen solchen Wohlstand. Die Schnitzer waren unterbezahlt und mussten von früh bis spät arbeiten, um ihre Familien zu unterhalten. Diese waren meistens sehr groß und trugen ihrerseits, je nach Möglichkeit und Fähigkeit, zur Arbeit bei, sogar die 6-jährigen Kinder. Es gab Familien, die die Holzschnitzerei nur in der Zeit der Feldarbeit oder der Heuernte unterbrach. Während der Wintermonate verbrachten alle Familienmitglieder – Alte und Junge, Männer und Frauen – den ganzen Tag in der stua (Ladinisch für „Stube“) am penic (Ladinisch für „Schnitztisch“) und bearbeiteten das Holz mit ihren scarpiei (Ladinisch für „Schnitzeisen“). Die Holzschnitzer waren vollständig von ihren Auftraggebern abhängig und hatten nur wenig Macht in vertraglichen Verhandlungen, da sie, obwohl es viele von ihnen gab, keine Körperschaft hatten, die für ihre Rechte eintrat.

Die Entwicklung der Holzschnitzerei dank der Schulen

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Erlernen der Schnitzkunst von Generation zu Generation weitergegeben, ohne jegliche externe Hilfe. Die Idee, verschiedene Modelle zu schnitzen, kam allein von Seiten der Verleger, die die Nachfrage auf dem Markt am besten interpretieren konnten. Doch weder sie noch die Bildhauer dachten über die Notwendigkeit nach, die Produkte mit einer genaueren und verfeinerteren Technik herzustellen. Die Produktion kam vorwiegend aus dem Heimhandwerk, das neben der führenden Landwirtschaft bestand. Die Grödner Produkte fanden einen guten Absatz, aber der Gewinn der Heimarbeiter war oft unter jeder Würde und ihre Abhängigkeit von den Verlegern war groß. Diese mussten darauf achten, die Preise so niedrig wie möglich zu halten, da die Ware in immer weiter entfernte Länder exportiert wurde – von Russland bis Amerika –, was eine Erhöhung der Transportspesen mit sich brachte.

Die Situation des Grödner Handwerks erfuhr eine beträchtliche Verbesserung dank der Einführung einer Bildhauerschule nach der weitblickenden Idee von Rudolf Eitelberger. Diese Entwicklung gefiel weder den Verlegern noch dem Gemeinderat, der von ersteren präsidiert wurde, da diese eine Verringerung ihres Einkommens durch den Bau einer Bildhauerschule befürchteten. Das Problem fand eine Lösung, indem die österreichische Regierung an diesem Projekt Interesse fand und die Gründung einer Fachschule 1872 in St. Ulrich seitens Ferdinand Demetz subventionierte. Später wurde sie auf privater Basis weitergeführt. Durch diese Schule kam es zu einer bedeutenden technischen und künstlerischen Verbesserung und indirekt auch zu einer positiven Entwicklung der wirtschaftlichen Situation der Bildhauer. Im Laufe weniger Jahre wurden verschiedene neue Werkstätten für Bildhauer und Tischler gebaut und auch die Anzahl der Maler stieg. Der Bau von Altären, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vernachlässigt worden war, wurde wieder aufgenommen, und einige Holzschnitzer spezialisierten sich auf die Einrichtung ganzer Kirchen. Was das Volumen und den Gewinn betrifft, so überholte Gröden die anderen Ortschaften, die sich traditionell der Holzbildhauerei widmeten, wie Oberammergau, Berchtesgaden und München.

1894 wurde auch in St. Christina eine Privatschule eröffnet, die vom Direktor der Schule in St. Ulrich geleitet wurde, während ein gewisser Professor Raske einer Klasse von 12 Schülern Zeichnen und Schnitzen lehrte. Die angefertigten Skulpturen wurden exportiert und die Schüler bekamen eine minimale Vergütung pro Tag. Doch nach nur vier Jahren schloss diese Schule ihre Tore wegen der negativen Propaganda der Verleger, die in ihr nur eine Gefahr für ihre Interessen sahen. Daraufhin wurde, dank des großen Engagements der Gemeinde Wolkenstein und der Unterstützung der österreichischen Regierung, eine weitere Bildhauerschule in Wolkenstein errichtet. Diesmal waren es die Bewohner selbst, die auf die Notwendigkeit einer solchen Schule bestanden. Das Gebäude, das 1908 fertiggestellt wurde, bekam den Namen „Kaiser Franz-Josef-Fachschule“.

Im Gegensatz zum Handwerk, das weiter expandierte, fiel die Landwirtschaft immer mehr zurück und verlor ihre Stellung als Haupteinnahmequelle des Tales. Die Holzschnitzerei entwickelte sich jedoch nur in St. Ulrich, seit jeher das Handelszentrum Grödens. In den anderen Gemeinden, St. Christina und Wolkenstein, wie in den Fraktionen Pufels, Runggaditsch und Überwasser blieb die Situation unverändert: die Heimarbeiter, die auf die Herstellung von Spielzeug spezialisiert waren, waren immer an ihre Käufer gebunden. Die zahlreichen Bildhauerwerkstätten, die in Gröden entstanden, lösten eine beträchtliche Migrationsbewegung aus anderen Tälern aus, wie zum Beispiel aus dem Gadertal und Arabba aber auch aus anderen Ländern, wie Bayern und Österreich-Ungarn. Die Immigranten fanden schnell Arbeit als Bildhauer, Maler, Vergolder und Tischler, und trugen zur wirtschaftlichen Blüte St. Ulrichs bei. Bis 1914, also in weniger als 50 Jahren, war die Anzahl von Bildhauern, zwischen Meistern und Schülern, von etwa 20 auf etwa 260 gestiegen. Auch die Anzahl der Maler stieg beträchtlich von etwa 4 auf 85. Zudem entstand eine neue Tischlerbranche, die auf den Bau von Altären und die Innendekoration der Kirchen spezialisiert war. In jener Zeit wurden Produkte in alle Welt exportiert, vor allem nach Großbritannien und in die britischen Kolonien, nach Deutschland, Russland, Japan, China und Australien, während die Exporte nach Italien und Frankreich wegen dem hohen Grenzzoll zum Stillstand kamen.

Die Grödner Bahn

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges mussten viele Bildhauerwerkstätten schließen und auch das Heimhandwerk litt stark. Doch diese Zeit hatte auch eine positive Auswirkung zur Folge, und zwar den Bau einer Schmalspurbahn, die Klausen mit Plan über eine Distanz von 31 km und einen Höhenunterschied von ganzen 1072 m verband. Der Bau wurde von der österreichischen Regierung angeordnet, und zwar in erster Linie, um die Artillerie an der Dolomitenfront zu versorgen, die auf der Seite des Bündnisses Deutschland-Österreich gegen Italien kämpfte.

Die Bahnstrecke wurde nach einer Rekordzeit von vier Monaten von russischen Gefangenen 1915 fertiggestellt. Um die Bauzeit zusätzlich zu verkürzen, wurden die Brücken und die Überführungen vorläufig in Holz errichtet und erst in einem zweiten Moment in Stein.

Viele Jahre lang war die Grödner Bahn ein wertvolles Transportmittel für das Tal und hat zudem die Entwicklung des Tourismus gefördert wie auch den Verkauf von Holzprodukten. Doch mit dem Siegeszug des Autos wurde der laute und langsame Zug bald stillgelegt. Der eine Teil der Eisenbahnstrecke wurde zu einer Straße ausgebaut, während der obere Talabschnitt in einen Fußgängerweg umgewandelt wurde, der St. Ulrich über St. Christina mit Wolkenstein verbindet.

Kriegszeiten

Die holzverarbeitende Industrie Grödens erholte sich nach den katastrophalen Folgen des Ersten Weltkrieges nur sehr schleppend. Viele Absatzmärkte waren verloren gegangen und die Nachfrage nach Handwerksprodukten aus Holz blieb mehrere Jahre lang auf einem historischen Tief. Zu den allgemeinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten kam noch der schmerzliche Verlust von vielen Grödner Männern hinzu, die dem Krieg zum Opfer gefallen sind. Viele der Gefallenen waren qualifizierte Bildhauer oder ausgezeichnete Schnitzer, deren Abwesenheit während des Wiederaufbaus stark zu spüren war.

Die Unsicherheit und Perspektivlosigkeit veranlassten viele Holzschnitzer, in den benachbarten Tälern oder sogar in anderen Ländern der Welt, wie zum Beispiel in Argentinien, Arbeit zu suchen. Zudem verlor das Holz infolge des Anschlusses Südtirols an Italien dramatisch an Wert. In den ersten Nachkriegsjahren war es für einige Verleger gewinnbringender, das Holz als Brennmaterial zu verkaufen anstatt es als Rohstoff in der Holzverarbeitung einzusetzen. Als einzige positive Folge des Krieges gibt es zu vermerken, dass man anfing, der Qualität der fertigen Produkte viel mehr Bedeutung beizumessen. Ab 1926 stiegen die Exporte erstmals wieder an und die wirtschaftliche Lage des Tales verbesserte sich zunehmend bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.

Auch der Sektor der kleinen Holzobjekte erlebte einen Aufschwung dank des guten Absatzes von Gebrauchs- und Ziergegenständen wie zum Beispiel Korkenzieher, Federkästen, Aschenbecher, Schachfiguren, kleine Madonnen, stilisierte Kruzifixe und andere Souvenirartikel. Vor dem Ersten Weltkrieg bestand die Hälfte der handwerklichen Produktion aus Altären und Statuen. Letztere wurden auch weiterhin produziert und verkauft, doch die Altäre verschwanden fast vollständig. Dazu trug auch der Untergang Österreich-Ungarns bei, durch den wichtige Absatzmärkte innerhalb der Föderation wegbrachen. Außerdem war der italienische Markt wegen der Bedeutung des Marmors als Ersatzrohstoff für die Herstellung von Altären und religiösen Kirchenskulpturen konkurrenzfähiger.

Ein weiterer Produktionssektor, der in dieser Zeit an Bedeutung verlor, war jener des Spielzeugs. Die Verleger verstanden es nicht, die neuen Bedürfnisse der Kundschaft zu befriedigen, und wurden zudem mit der starken Konkurrenz seitens der Unternehmen, die Spielzeug aus anderen Materialien herstellten, konfrontiert.

Doch dank der beiden Fachschulen von St. Ulrich und Wolkenstein verbesserte sich die Grödner Holzschnitzerei erheblich durch originelle und kreative Lösungen und einer höheren technischen Perfektion. Somit wurden alle Bemühungen der beiden Gemeinden für die Errichtung der Schulen belohnt.

Leider reichte die hohe künstlerische Qualität in der Holzverarbeitung nicht aus, der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre die Stirn zu bieten, und Gröden erlebte erneut eine Zeit mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten.

Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde die Hälfte der Produktion in die Vereinigten Staaten exportiert, gefolgt von Deutschland und Großbritannien, während nur 5 % der Produkte für den nationalen Markt bestimmt waren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Die Folgen des Zweiten Weltkrieges waren weit weniger schwerwiegend als jene des ersten, und gegen Ende des Konfliktes setzten sich einige einflussreiche Mitglieder der amerikanischen Truppen dafür ein, dass die Nachfrage nach Grödner Skulpturen wieder anstieg. Die Restware, die sich noch in den Lagern befand, wurde ausverkauft und in kurzer Zeit waren die Kontakte mit dem amerikanischen Markt wieder hergestellt. Auch die Nachfrage nach sakralen Skulpturen stieg wieder an. Anfangs der 60er Jahre wurden mindestens 2/3 der hergestellten Skulpturen exportiert, davon zwischen 75 und 80 % in die Vereinigten Staaten. Der nordamerikanische Markt war besonders attraktiv dank der großen Verbreitung des Katholizismus und der Tendenz der Kirche, eine einfache liturgische Dekoration zu bevorzugen. Auch die Exporte nach Südamerika übertrafen jene in europäische Staaten, inklusive Deutschland, das mittlerweile seine Rolle als Geschäftspartner verloren hatte, vor allem in den ersten Nachkriegsjahren. Dann folgten die Anordnungen des 2. Vatikanischen Konzils (1962-’65), die noch schlichtere Statuen vorsahen, und die somit für einige Jahre zum vollständigen Stillstand der Nachfrage auf dem Markt führten.

Was weiterhin gut lief war der Handel mit den kleinen Holzfiguren mit Ländern wie die Vereinigten Staaten, Deutschland, Schweiz und Italien. Im Vergleich zur Vorkriegszeit stieg der Verkauf von kleineren Produkten auf dem internen Markt an und machte schließlich 25 % aus.

Das Grödner Holzhandwerk hatte mittlerweile ein solches Ausmaß erreicht, dass es keine Familie im Tal gab, die nicht das notwendige Werkzeug gehabt hätte, eine Statue zu schnitzen. 1965 beschäftigte der Sektor der Bildhauerei etwa 2000 Personen, was 1/3 der gesamten Talbevölkerung entsprach.

Was die Organisation des Handwerks anging, waren zwei Tendenzen zu beobachten: Während sich die Schnitzer in Gruppen zusammenschlossen, bevorzugten die Bildhauer und die Maler einen individuelleren Arbeitsstatus. Deshalb verschwanden die großen Bildhauerwerkstätten, die zwischen 15 und 20 Schüler zählten und bis 1900 typisch für St. Ulrich waren. Dieser Wandel ist auf drei Faktoren zurückzuführen: der Wunsch der Bildhauer, sich von der Abhängigkeit der Verleger zu befreien, eine kontinuierlich ansteigende Nachfrage nach Holzfiguren, die auch immer anspruchsvoller wurde, und steuerrechtliche Gründe.

Die Industrialisierung der Herstellung von Spielzeug und kleinen Skulpturen

Die große Nachfrage nach Grödner Skulpturen nach dem Zweiten Weltkrieg brachte die Grenzen des Produktionssystems des Tales ans Tageslicht. Mit dem Verlagssystem konnten die Grödner auf dem sich immer weiter entwickelnden Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig agieren. Das alte System machte es den Verlegern unmöglich, die Qualität und die Lieferzeiten der Skulpturen von Seiten der Heimarbeiter zu kontrollieren, die oft den Anfragen von mehreren Zwischenhändlern nachkommen mussten, aber nicht immer konnten. Zudem hatten weder die Kunsthandwerker noch die Verleger viel Interesse daran, die Produktion zu erneuern, da die neuen Modelle regelmäßig von der Konkurrenz kopiert wurden. Somit bestand die Gefahr, den Ansprüchen der Kundschaft oder des neuen Marktes nicht zu genügen, der sich in der Zwischenzeit weiterentwickelt hat und auf dem ausgezeichnet angefertigter Ware sowie schnelle und sichere Lieferzeiten gefragt waren.

Diese neue Situation brachte die Großhändler dazu, die Produktion der Skulpturen selbst in die Hand zu nehmen. Der Einsatz von modernen Maschinen ermöglichte einen bemerkenswerten Produktionsanstieg, eine größere Präzision und infolgedessen höhere Gewinne. Zudem konnte eine pünktliche Lieferung der Aufträge garantiert werden.

Unter den neuen Unternehmern sticht Anton Riffeser wegen seines ganz besonderen kaufmännischen Riechers hervor. Seine Geschichte ist ein weiteres Beispiel dafür, dass in der Entwicklung einer jahrhundertealten Handwerkstradition oft die Eigeninitiative eines Einzelnen ausschlaggebend ist. Die Firma ANRI (ANton RIffeser), die schon 1925 gegründet worden war, war somit die erste Fabrik, die mit Mut bis dahin unbekannte Herausforderungen im Bereich Produktionsverwaltung in Angriff nahm. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Fabrik erweitert und mit den ersten Maschinen ausgerüstet wie zum Beispiel Vorfräsmaschinen für die erste grobe Bearbeitung der Skulpturen. Die Firma ANRI war auch die erste im Tal, die eine Holztrocknungsanlage besaß und die eine Filiale in Deutschland eröffnete. Viele Jahre lang war die Firma von grundlegender Bedeutung für die Wirtschaft des Tales, da zahlreiche Grödner durch sie einen Arbeitsplatz hatten: 1952 zählte sie 50 Angestellte, drei Jahre später stieg die Zahl auf 150, weitere zwei Jahre darauf auf 230 und 1965 kam sie auf 280. Die Firma ANRI gibt es auch heute noch, doch ihre Bedeutung innerhalb der sozialen Ordnung Grödens hat abgenommen, unter anderem wegen aufstrebender Familienunternehmen wie die Firma BERGLAND.

Ein weiteres Beispiel der Industrialisierung ist die Firma SEVI (SEnoner VInzenz), die in der Produktion von Holzspielzeug spezialisiert war. Die Verwaltung hatte ihren Sitz in St. Christina, während die Werkanlage in Pontives, am Eingang des Tales, errichtet worden war.

In dieser Art von Fabrik, z. B. ANRI und SEVI, arbeiteten Schnitzer und Maler in derselben Werkanlage. Die Neuigkeit war, dass der Arbeitgeber seinen Angestellten die verschiedenen Werkzeuge und Maschinen zur Verfügung stellte und ihnen auch ein fixes Monatsgehalt zahlte. Anfänglich stießen diese Fabriken auf große Kritik und Zweifel in der Bevölkerung, doch mit der Zeit wurde den Menschen bewusst, welche Vorteile die Arbeit im Angestelltenverhältnis bot: als Angestellter bekam man einen fixen Lohn, war kranken- und unfallversichert, bezog Prämien, Familienzulagen und eine Pension, und man übte seine Arbeit in gemütlichen und hellen Räumlichkeiten aus.

Bis zu jenem Zeitpunkt waren den Schnitzern und Malern solche Arbeitsbedingungen unbekannt. Doch seit einigen Jahren muss man von einer klaren Gegentendenz sprechen, da die großen Industriefirmen immer mehr Schwierigkeiten bewältigen müssen. Die Feinarbeit wie zum Beispiel die Endverarbeitung der Figuren, das Zusammensetzen der verschiedenen Teile und das Bemalen der Skulpturen müssen notwendigerweise per Hand gemacht werden. Deshalb haben die großen Firmen hohe Fixkosten und eine geringere Flexibilität im Management, und tun sich deshalb in Krisenzeiten schwer. Wenn man das vorgesehene Verkaufsvolumen nicht erreicht, ist man gezwungen, Personal zu kündigen und, im Extremfall, den Betrieb aufzugeben, wie es zum Beispiel im Fall der Firma SEVI passiert ist. Aus diesem Grund haben sich in letzter Zeit kleine Familienbetriebe durchgesetzt, die auf eine höhere Flexibilität, Originalität und Qualität bei den Produkten, einem ausgezeichneten Verhältnis mit der Kundschaft und vor allem auf eine erhebliche Kostendämpfung setzen können. Man kann somit fast von einer Wiederkehr des Verlagssystems sprechen: die Firmen geben den Heimarbeitern Aufträge und verkaufen die für sie angefertigten Artikel unter der eigenen Marke.